J. Mischke: Familiennamen im mittelalterlichen Basel

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Titel
Familiennamen im mittelalterlichen Basel : kulturhistorische Studien zu ihrer Entstehung und zeitgenössischen Bedeutung.


Autor(en)
Mischke, Jürgen
Erschienen
Basel 2015: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
421 Seiten
von
Andreas Gehringer

Im Hinblick auf das grosse Interesse an der Deutung und Erläuterung von Namen erstaunt es, dass zur Entstehung und Entwicklung von Zweitnamen bisher kaum adäquate kultur- und sozialwissenschaftliche Auseinandersetzungen existieren. Einzig die Habilitationsschrift von Christof Rolker (Das Spiel der Namen, 2016) und die hier rezensierte Dissertation von Jürgen Mischke leisten mit ihren akribischen Untersuchungen zu Familiennamen einen raren und daher umso wichtigeren Beitrag zur Erforschung und Analyse von Zweitnamen.

Mischkes Arbeit, 2014 an der Universität Basel als Dissertation eingereicht und mit Auszeichnung angenommen, bietet indes nicht nur einen kulturhistorischen, sondern darüber hinaus einen sprachwissenschaftlichen Zugang zur Thematik. Dabei ist der interdisziplinärere Zugang aufgrund von Mischkes Werdegang nur konsequent: Bereits zu Beginn seiner Dissertation arbeitete er bei der Forschungsstelle Namenbuch Basel-Stadt (Schwabe Verlag, 2016). 2012 übernahm er die Co-Leitung des Projekts und führte es Ende 2016 zu einem erfolgreichen Abschluss.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Da sich die historische Kulturwissenschaft bisher nur marginal mit Namen beschäftigt, widmet sich das erste Kapitel (Namen erforschen) der ausführlichen Etablierung theoretischer Grundlagen für eine kulturhistorische Namenforschung. So gelingt Mischke ein Brückenschlag zwischen den «strengeren linguistischen Erkenntnisversuchen des Wesens von Namen und offeneren kulturwissenschaftlichen Deutungsmodellen.» (S. 18) Dadurch kann er Namen allgemein als Phänomene zeitgenössischer Kultur interpretieren, was es ihm erlaubt, Familiennamen und ihre Entstehung nicht nur in einem sprachwissenschaftlichen, sondern ausdrücklich auch in einem kulturgeschichtlichen Kontext zu untersuchen und nachzuvollziehen.

Das zweite Kapitel (Wandel und Umbrüche in Basel) zeichnet den anthroponymen Wandel im Mittelalter am lokalen Exempel nach, ordnet diesen chronologisch ein und bietet erste mögliche Erklärungen für den Wandel. Als Grundlage dient ein Namenkorpus, das im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt Namenbuch Basel-Stadt entstand. Anhand dessen zeichnet Mischke die Entwicklung von rein deskriptiven, pragmatischen zu symbolbehafteten und identitätsstiftenden Zweitnamen nach. Eine eigentliche Analyse der Situation folgt im dritten und letzten Teil (Namenkontexte in Basel). Hier werden, ausgehend von den methodischen Grundlagen, wie sie im ersten Kapitel definiert wurden, Zweitnamen «auf ihre Funktionsweisen als Zeichensysteme und auf ihre kulturellen Verflechtungen» hin befragt, um sich so «über diachrone Vergleiche […] einem kulturhistorischen Verständnis der damaligen Familiennamen» annähern zu können (S. 214). Dieser Teil der Arbeit stützt sich auf ein Quellenkorpus, das hauptsächlich aus Urkunden aus dem 12. bis 14. Jahrhundert besteht. Der Fokus richtet sich auf Namenkontexte, um die erwähnten Bedeutungszusammenhänge nachzuvollziehen und deuten zu können. Die These, dass es kein «Zufall der Überlieferungsgeschichte, sondern […] ein bedeutsames Indiz für die Erklärung des Aufkommens von Familiennamen» sei (S. 214 f.; ferner S. 373), dass diese nahezu ausschliesslich in normativen Quellen erscheinen, überzeugt indes nicht vollständig, wie auch an anderen Stellen bereits darauf hingewiesen wurde. Hier wäre eine ausführlichere quellenkritische Diskussion über die Zufälligkeit von Überlieferungsprozessen dringend angebracht.

In seiner eigentlichen Analyse gibt sich Mischke letztlich dezidiert zurückhaltend. So beobachtet er, ganz im Einklang mit bisherigen Forschungsergebnissen, dass auch in Basel der Ursprung der Zweinamigkeit beim Adel zu verorten ist und, von dort ausgehend, weitere Gesellschaftsschichten durchdrang. Er vermeidet es allerdings explizit, von einem gesunkenen Kulturgut zu sprechen oder die Entwicklung im Sinne einer Mode zu deuten, wie es die etablierte Forschung mitunter zu tun pflegt. Auch dass die Konzentration des Rufnamenschatzes der Zweinamigkeit vorausging, kann Mischke für Basel bestätigen. Doch auch zu diesem Aspekt gibt sich Mischke in seiner Analyse erneut zurückhaltender als die bisherige Forschung. Vielmehr plädiert er für ein differenzierteres Bild, wonach es sich bei der Entstehung der Zweitnamen um einen mehrsträngigen und vielschichtigen Prozess handle. Zentrale Faktoren für den anthroponymen Wandel seien demnach in einem sich gleichzeitig und referenziell artikulierenden Komplex von Umbrüchen zu finden, wie zum Beispiel in der erhöhten Bau- und Verwaltungstätigkeit, in der Konstruktion von natürlichen und juristischen Personen, wie aber auch in gesellschaftlichen Prozessen, zum Beispiel der Entwicklung eines pointierteren Selbstbewusstseins oder neuen Vorstellungen von transzendenten rechtsökonomischen Ansprüchen. All diese Entwicklungen und Fortschritte verlangten, so Mischke, nach einem System, welches die eindeutige Verweismöglichkeit auf eine Person und alle an diese Person gebundenen (erblichen) Ansprüche, wie Besitztümer, soziale Positionen und Ämter, Seelenheil und so weiter, sicherstellte.

Ganz in der mittlerweile gewohnt zurückhaltenden Art resümiert Mischke, dass es sich bei seinen Erkenntnissen letztlich um ein «Erklärungs- und Deutungsangebot» (S. 380) handelt, welches die Diskussion erweitern, keinesfalls aber abschliessen könne. Zu weitreichend und vielschichtig seien die kausalen Bedingungen hinter dem anthroponymen Wandel. Entsprechend liest sich die Arbeit als Plädoyer für mehr Interdisziplinarität und für die kritischere Beschäftigung mit monokausalen Deutungs- und Erklärungsmustern.

Zitierweise:
Andreas Gehringer: Rezension zu: Jürgen Mischke: Familiennamen im mittelalterlichen Basel. Kulturhistorische Studien zu ihrer Entstehung und zeitgenössischen Bedeutung, Basel: Schwabe Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 558-559.